„Der Anfang der Liebe ist ja für alle dann, wenn man sich am Geliebten nicht nur in dessen Gegenwart, sondern auch in seiner Abwesenheit, indem man an ihn denkt, erfreut. Man liebt ja vor allem, wenn sich bei der Abwesenheit des Geliebten Schmerz einstellt.“
(Aristoteles: Rhetorik. Seite 54. Reclam, Stuttgart 2007)
Ist dem so?
Fragt sich Mensch. Lässt Aristoteles kurz sinken und sinnt den Worten nach.
Eine klassische Vorstellung. Das Geliebte wird besonders deutlich, wenn es nicht da ist.
Oder gar nicht erreicht werden kann.
Das Geliebte ist im Moment des Erreichens unter Umständen plötzlich viel weniger interessant und gewollt.
Das Geliebte fühlt sich im Moment der Nähe unerträglich eng an.
Es beengt.
Eine klassische Vorstellung, dass Menschen sich vermissen.
Menschen, Situationen, Orte.
Geliebt und in Abwesenheit vermisst.
Doch was passiert, wenn ein Mensch dieses klassische Gefühl nicht kennt?
Wenn er zwar im Moment liebt, auf Distanz aber nicht zu vermissen mag?
Ein Glück für ihn?
Oder der Todesstoß für die Geliebten?
Vermutlich ist es ein Glück, das Vermissen nicht zu kennen, wenn zwei Menschen aufeinander treffen, denen es in dieser Hinsicht gleich ergeht.
Vermutlich ist es der Todesstoß für eine Beziehung, wenn nur einer der beiden das Vermissen nicht kennt.
Ihm fehlt auf Distanz nichts. Aber dem Geliebten fehlt das Gefühl, vermisst zu werden.
Vermissen kann lieben heißen.
Denkt Mensch.
Und widmet sich wieder Aristoteles.
Seltsam, denkt Mensch noch.
Dass Worte, die vor über 2 Jahrtausenden geschrieben wurden, so treffend sein können.
Vielleicht liegt es am Gegenstand.
Den Menschen.
Und es scheint beinahe so, als reichte es, die Menschen von damals zu kennen, um die von heute ebenfalls zu erahnen.
Alter Wein in neuen Schläuchen.
„Ein Tier kennt das andere.“
(ebd. Seite 57)
Antike kennt 21. Jahrhundert.
KW 36/12
izniak 09/2012
Liebe izniak,
der Artikel beschäftigt mich, seitdem ich ihn letzte Woche las. Ist es nun Glück oder Todesstoß? Ich habe meine Entscheidung noch nicht gefällt…