Ich habe keine Freunde.
Alle weg.
Alle?
Nein, nur die facebook´schen Freunde.
Meine ganze Facebook-Familie.
Ich verliere sie nicht. Ich kündige sie.
Noch schlimmer, ich entziehe mich ihnen durch meinen digitalen Selbstmord . Aus der Not heraus. Um mein reales Ich vor dem digitalen Overload zu bewahren . Die „suicide machine“ als letzter Ausweg.
Kurz nach meinem facebook´schen Selbstmord trifft mich eine real gefühlte Einsamkeit vor dem plötzlich trist wirkenden Bildschirm. Und dann, ganz plötzlich, ist es gut.
Keine Dauerschäden aus meiner Facebook-Zeit. Mehr noch. Viel gelernt. Schlüsse daraus gezogen. Ich hege meinen Glauben daran, dass jegliche „Schräg- und Normlagen“ meiner Persönlichkeit und meines Sozialverhaltens sehr facebook-unabhängig sind, waren und bleiben. Und ich unterstelle vielen Facebook-Nutzern eine – zumindest nach den Begrifflichkeiten unserer Gesellschaft – „normale“ psychische Gesundheit.
Dennoch. Lieber keine ausgeprägte digitale Identität.
Seit dieser Zeit, diesem Vakuum nach FB, hege ich eine besondere Skepsis. Womöglich sogar einen heimlichen Groll. Einen Groll gegen die verbale Bagatellisierung. Die Bagatellisierung, die ich diesem Social Network sehr wohl und immer mehr unterstelle.
FREUND.
Ich bin mit Angehörigen, Verwandten, Bekannten, Kollegen, Kameraden und anderen groß geworden. Und schließlich mit Freunden. Jede Kategorie meines Glaubens nach klar definiert. Jede Kategorie mit einem bestimmten Vertrautheitsgrad. Mit bestimmten Umgangsformen.
Und plötzlich gilt das so wertvolle Wörtchen „Freund“ für alle?! Gut, ein Kollege kann auch ein Freund sein, aber nicht jeder Kollege ist ein Freund. Ist mein Chef mein Freund? Ist mein Cousin zweiten Grades mein Freund?
Natürlich, es ist nur ein Wort. Nur?
Was passiert, wenn ich mein Leben mit meinen Freunden auf facebook´sche Art „teile“. Lasse ich alle gleich daran teilhaben? Alle facebook´schen Freunde?
Was passiert, wenn jemanden „nur“ Kollege ist. Und kein Freund. Passiert etwas?
Zu wenige Antworten.
Für mich. Mir ist das Wort „Freund“ zu wichtig.
Zu wichtig um damit zu jonglieren.
Kein Bagatellisieren von Freunden.
Womöglich leide ich an verbaler Hypersensibilität.
Womöglich bin ich digital hypersensibel.
Eine verbal-digitale Abwehr.
Möglich.
Aber ich kann damit leben.
Nein, will damit leben.
Gerade weil ich um meine wenigen realen, nicht digitalisierten Freunde weiß.
Weil sie nicht im Grau der „facebook´schen Freundemasse“ verschwimmen.
Weil ich diese klaren Grenzen brauche.
Dies ist kein Anti-Facebook-Appell.
Sondern ein Appell zum Schutz eines kleinen Wortes.
Ein Plädoyer für seinen großen Wert.
Eine Hommage auf ein kleines Wort.
Und auf die wenigen Leute, die es verdienen.
KW 8/2012
izniak 02/12